Das „zarte Pflänzchen Tourismus“ in Bad Wörishofen

Bei der Debatte über das Bauverbot wurde der Tourismus in Bad Wörishofen von Stadträten der GRÜNEN als „zartes Pflänzchen“ bezeichnet, das gehegt und gepflegt werden muss.

FREIE WÄHLER sprechen nicht so blumig, sondern realistisch und orientieren sich an den Tatsachen.

Dass ich manchmal anderer Auffassung bin, als die Beteiligten am örtlichen Tourismusgeschehen, ist bekannt,  aber ist das ein Nachteil? Ich bin nach Bad Wörishofen vor 10 Jahren zugezogen und wahrscheinlich sehe ich deshalb die Stadt, die Entwicklung des Kur- und Tourismuswesens und die hier praktizierte Kommunalpolitik mit anderen Augen. Als Mitglied des Stadtrates ist es auch meine Pflicht auf die zweckmäßige, wirtschaftliche und sparsame Verwendung öffentlicher Mittel zu achten.

Unabhängig davon wünsche ich uns, dass nach der Corona-Epidemie die Inlandsreisen zunehmen und wir unsere Gästeankünfte und Übernachtungszahlen steigern können.

Im Folgenden habe ich einige Ergebnisse meiner persönlichen Feststellungen und Vorschläge zum Kur- und Tourismuswesen in Bad Wörishofen zusammengestellt.

1.Analyse

1.1 Vergleich

Die Daten über die Zahl der Betriebe, die vorhandenen Betten, das Gästeaufkommen, die daraus resultierenden Übernachtungen und die durchschnittliche Dauer des Aufenthaltes sind den veröffentlichten, umfangreichen Tourismusberichten des Kur- und Tourismusbetriebes zu entnehmen.1.2. Grafischer Überblick

Den Verlauf des Kur-und Tourismuswesens in Bad Wörishofen bildet dieses Diagramm ab:

1.3. Richtungstabelle

1.4. Interpretation

  • Von 5 Parametern, die statistisch das Kur- und Tourismuswesen abbilden und gegenseitige Auswirkungen haben, sind die 4 mit roten Pfeilen markierten im Abschwung. Der grüne Pfeil weist zwar, tabellentechnisch bedingt, nach unten, bedeutet aber einen Anstieg.
  • Der durchschnittliche 16-Tage-Aufenthalt von 1991 ist Vergangenheit. Stand 2018 ist: 4,4 Tage.
  • Die Mitarbeiter des Kur- und Tourismusbetriebes sind auf dem Gebiet der Akquise von Gästen erfolgreich. Mit dem erfreulich starken Zuwachs von + 87 % bei den Gästeankünften erfüllen sie diese Aufgabe sehr gut. Den Rückgang der Aufenthaltsdauer um -74% haben sie nicht zu vertreten; er dürfte mit dem veränderten Reiseverhalten und dem Angebot zusammenhängen.
  • Durch den Anstieg der Gästeankünfte wurde der von 1991 bis 1997 rasante Rückgang der Übernachtungszahlen eingebremst, von 1997 bis 2017 weiter verlangsamt. 2018 fast gestoppt.
  • Der Kur- und Tourismusbetrieb gewinnt immer mehr Gäste für Bad Wörishofen, aber der angestrebte Erfolg – der sich finanziell bei der Stadt Bad Wörishofen in Form eines Anstiegs des Kurbeitrages und bei den Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben, sowie weiteren Beteiligten in Umsatzsteigerungen niederschlagen soll – tritt nicht ein.
  • Aus meiner Sicht kann ein Fehler in der Tourismusstrategie vorliegen.

 2. Mögliche Ursachen

 

2.1. Gesundheitsreformen

Die Gesundheitsreformen haben Bestand. Das Engagement der Organisationen und Vereine, von Vorständen, Präsidentinnen und Präsidenten, die sich ehrenamtlich und überregional des Kur – und Tourismuswesens annehmen, ist bemerkenswert. Gesetzgeber und Krankenkassen werden ihre Einstellung nicht mehr ändern und stationäre Kuren finanzieren.

Ergebnis: Nach 30 Jahren sind die Gesundheitsreformen nicht mehr die ausschließliche Ursache für die aktuelle Situation des Kur- und Tourismuswesens in Bad Wörishofen. 

Vorschlag: Die Debatten über die Auswirkungen der Gesundheitsreformen sollten eingestellt werden.

2.2. Reiseverhalten

Das Reiseverhalten und die Auswahl des Zielortes werden durch verschiedene Faktoren bestimmt, u.a. Klima, Lage und Landschaft, Entfernung, Verkehrsmittel, Attraktionen, Kategorie der Beherbergungsbetriebe, touristische Einrichtungen, differenzierte Angebote für Zielgruppen, z.B. Familie, Senioren, Gesundheit, Wandern, Fahrrad, Bergsteigen, Wassersport und Kultur. Das Preis-Leistungsverhältnis und Rabatte über Gästekarten spielen bei der Entscheidung eine wesentliche Rolle.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Reiseverhalten gewandelt. Auslandsreisen haben zugenommen, Erlebnis und Genuss haben höhere Priorität, besonders bei jüngeren Zielgruppen. Ältere sind reisefreudiger geworden, weil die meisten rüstig und vielseitig interessiert sind. Hinzukommt, dass viele Ältere über eine relativ gute Altersversorgung und Rücklagen verfügen. So war, aus meiner Sicht, die Situation vor der Corona-Epidemie.

Nicht veränderbare Faktoren:

Folgende der oben genannten Faktoren können in Bad Wörishofen (und in allen Tourismus-Destinationen) nicht geändert werden, um Gästeankünfte und Verweildauer zu steigern: Klima, Lage und Landschaft, Entfernung, Verkehrsmittel, Attraktionen (?).

Veränderbare Faktoren:

In Bad Wörishofen können, aus meiner Sicht, folgende Faktoren verändert werden: Kategorie der Beherbergungsbetriebe, touristische Einrichtungen, differenzierte Angebote, Preis-Leistungsverhältnis.

Der Markt regelt sich nach Angebot und Nachfrage. Der Gast richtet sich nach dem Angebot. Wenn die meisten der eingangs genannten Faktoren und das Preis-Leistungsverhältnis grundsätzlich seinen Vorstellungen entsprechen, kann er diesen Zielort bevorzugen. Bieten Wettbewerber jedoch gleiche Leistungen zu günstigeren Konditionen an, wird er in den meisten Fällen den Zielort wählen, der ihm bei gleichem finanziellen Aufwand

  1. in der von ihm vorgesehenen Verweildauer mehr bietet oder
  2. bei gleichem Angebot eine längere Verweildauer ermöglicht.

Die Entscheidung, wie lange er an seinem Zielort verweilt, trifft ausschließlich der Gast! Werden seine Erwartungen erfüllt oder gar übererfüllt, kann sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er längere und weitere Aufenthalte an dem von ihm ausgewählten Zielort ins Auge fasst.

Ergebnis: Das Reiseverhalten ist eine Eigenschaft des Gastes und wird von seinen finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten, seinen Ansprüchen und Erwartungen sowie von den Angeboten auf dem Tourismusmarkt gesteuert. Vergleiche mit Wettbewerbern und deren Angebote sind durch das Internet einfacher und schneller möglich.

Vorschlag: Das Reiseverhalten muss noch intensiver beobachtet und ausgewertet werden. Zukunftsprognosen und Vorschläge der Tourismuswissenschaft sind darauf zu prüfen, ob durch sie eine positive Änderung des Reiseverhaltens für das Kur- und Tourismuswesen in Bad Wörishofen eintreten kann. Ggf. dafür veränderbare Faktoren wären unter Berücksichtigung der Ergebnisse zeitnah anzupassen.

2.3. Angebote vor Ort

Dazu gehört alles, was wir in der Stadt für den Tourismus nutzen können. Wir haben Sebastian Kneipp, einen wunderbaren Kurpark, ein gepflegtes Stadtbild, ein beliebtes Kurorchester, ein Kurhaus mit Kurtheater und vielen Veranstaltungen, eine Therme, rustikale Gaststätten, Eisstadion und Freibad, gepflegte Wander- und Radwege und eine intakte Natur.

Und, was besonders wichtig ist: Beherbergungsbetriebe aller Kategorien, die dem Gast ermöglichen, seinen Aufenthalt gesundheitsbewusst und freizeitorientiert zu gestalten.

Ergebnis: Das momentane touristische Angebot des Kur- und Tourismuswesens in Bad Wörishofen ist äußerst vielfältig und bietet dem Gast in allen Bereichen einen durchwegs guten Standard. Aus meiner Sicht mit dem Charme früherer Zeit, der kein Nachteil sein muss. Starke Anziehungspunkte sind der gepflegte Kurpark, die Aufführungen des Kurorchesters sowie die Wander- und Radwege. Auf das Kurhaus gehe ich an dieser Stelle nicht intensiver ein, weil das den Rahmen dieser Information sprengen würde. Tatsache ist aber, dass immer älter werdende Immobilien steigenden Unterhalt benötigen.

Vorschläge:

  1. Das touristische und gesundheitliche Angebot der Beherbergungsbetriebe, sowie die Einrichtungen Bad Wörishofens müssen erhalten, gepflegt und weiterentwickelt werden. Deshalb sind im Rahmen einer Effizienzkontrolle unter Berücksichtigung der Nachfrage zu prüfen:
  • Welche Angebote/Einrichtungen sind nicht mehr zeitgemäß und spielen im Reiseverhalten unserer Gäste keine Rolle mehr?
  • Welche Angebote/Einrichtungen sind noch zeitgemäß, müssen erhalten und weiterentwickelt werden?
  • Welche Angebote/Einrichtungen fehlen, können diese entwickelt (erfunden) werden?
  • Welche zusätzlichen Alleinstellungsmerkmale können im Sinne Sebastian Kneipps zur Steigerung der touristischen Attraktivität beitragen?
  1. Während der andauernden Corona-Epidemie und darüber hinaus, sollten die erfolgreichen Methoden der Kneipp-Lehre, insbesondere zur Steigerung der Abwehrkräfte und des Immunsystems, noch stärker in den Vordergrund gerückt werden u.a. durch:
  • Intensivierung einer ansprechenden, hohe Aufmerksamkeit erzeugenden Einbindung der Lehre Sebastian Kneipps in überregionale Werbemaßnahmen.
  • Nutzung der Aufenthalte von Menschen, die in der zweiten Hälfte ihres Lebens stehen und aus bevölkerungsreichen Gegenden kommen, zur Unterrichtung über und die Anwendung von Kneipp-Methoden. Ziele sind, dass diese Gäste gestärkt und fit nach Hause kommen, die Folgen beengten Zusammenlebens besser meistern und Kneipp im Alltag anwenden können.

2.4 Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten

Die Beteiligten geben sich bisher zu oft Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen hin. Diese kosten viel Kraft und Zeit, führen zu unnötigen Reibungsverlusten und Disharmonie.

Ergebnis: Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen sind kontraproduktiv. Sie sind geeignet, unser Ziel, nämlich den Abschwung bei den Übernachtungen zu stoppen und in einen Anstieg umzukehren, aus den Augen zu verlieren. Die genaue Ursache des Rückgangs der Übernachtungszahlen ist noch nicht festgestellt.

Vorschlag: Wir müssen uns gemeinsam mit dem Wissen und der Erfahrung aller Beteiligten auf die Suche nach der Ursache des vielleicht vorhandenen Strategiefehlers machen. Unveränderbare Tatsachen sind anzuerkennen. Nicht mehr zeitgemäße Strategien dürfen nicht mehr weiterverfolgt werden. Zusätzliche, neue Strategien auf der Basis aktueller Ergebnisse des Reiseverhaltens und der Tourismuswissenschaft müssen entwickelt werden. 

3.Zusammenfassung

Das Kur- und Tourismuswesen unserer Stadt Bad Wörishofen ist aus meiner Sicht bedauerlicherweise dort angelangt, wo es hinkommen musste, nachdem die stationären Kuren nicht mehr bezahlt wurden. In der Hauptsache ist jetzt der  (Gesundheits-)Tourismus die Einnahmequelle. Wer kommt heute zu uns? Gesundheits- und Wellnessurlauber, Feriengäste, Erholungsurlauber, Kurzurlauber, Resturlauber und Wochenendurlauber. Gottseidank auch die Anhänger der Kneippschen Heilmethode, die am Ursprung der Lehre ihre Gesundheit pflegen und erhalten.

Das Kur- und Tourismuswesen in Bad Wörishofen ist, aufgrund seiner aktuellen Gegebenheiten, so wie es ist. Vergleiche mit anderen Tourismusorten hinken, weil dort andere Gegebenheiten bestehen. Wir haben kein Nebelhorn, keine Sprungschanze, kein Bundesleistungszentrum, keine Königsschlösser und keinen Bodensee!

Äpfel und Birnen dürfen nicht verglichen werden und diese nerv tötenden Hinweise darauf, wie die Übernachtungszahlen in anderen Kur- und Tourismusorten und Heilbädern durch die Decke gehen, bringen uns nicht weiter. Wir müssen für uns tätig werden, wir stehen im Wettbewerb und auf Hilfe von Dritten können wir uns nicht verlassen!

Es ist erforderlich, den Tatsachen ins Auge zu schauen! Der Tourismus-Masterplan, die Anstrengungen zur Förderung der Kneipp´schen Lehre, die 5 Säulen mit Leben zu erfüllen, die Wandertrilogie, usw. sind sehr gute Ansätze. Über die Ergebnisse muss die Öffentlichkeit intensiver und öfter informiert werden, als das bisher der Fall ist, um Gerüchte und Fehlinterpretationen auszuschließen.

Wenn der Wirtschaftszweig Kur- und Tourismus leicht zu beherrschen wäre, gäbe es nicht so viele Wissenschaftler und Tourismusexperten, die sich damit beschäftigen. Die Materie ist so komplex, dass sie stetiger Beobachtung, Analyse und Nachsteuerung bedarf. Was gestern erfolgreich war, kann es morgen schon nicht mehr sein. Das Festhalten an Maßnahmen, bei denen augenscheinlich schon erkennbar ist, dass sie in absehbarer Zeit untauglich werden können, ist ein gravierender Fehler. Mit Methoden von gestern, kann heute kein Gast mehr gewonnen oder zu einem längeren Aufenthalt animiert werden.

Wer sich nicht mit neuen Dingen beschäftigt, wird sich nicht weiterentwickeln. Wer nichts dazu lernt, bleibt stehen! Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!

Wolfgang Hützler
Vorsitzender
Fraktion FREIE WÄHLER